Der Hofnarr

In früheren Zeiten haben sich Fürsten, Könige und andere Herrscher einen oder manchmal auch mehrere Hofnarren gehalten. Diese hatten sicherlich zwei Funktionen. Zum einen dienten sie der Unterhaltung der Herrschenden und dem Stab. Fernsehen, Computer, Internet. Videos und andere Medien waren nicht vorhanden. Gaukler, Bänkelsänger und eben Narren übernahmen deren Funktion.


Hofnarren hatten aber oft noch eine andere Funktion!


Sie fungierten als Berater und hielten ihren Herren den Spiegel vor. Sie konnten sich daher nicht nur über die Etikette hinwegsetzen, sondern es wurde geradezu erwartet, dass sie Späße über den Hofstaat und auch den König machten.

 

Aber wehe, wenn der Hofnarr auf den Richtbock geführt wurde. Es wäre der Anfang vom Ende der offenen Kommunikation.


 


Der Hofnarr

     oder

…bin ich bereit zuzuhören?


 

 

Nun wird sich sicherlich heute kein Unternehmen einen „Hofnarren“ halten, der bei wichtigen Meetings mit fünf Bällen jongliert oder zotige Sprüche über das Aussehen der Teilnehmer oder deren Verhalten zum Besten gibt. Aber man sollte trotz aller Ernsthaftigkeit heutiger Besprechungen auch den einen oder anderen positiven oder witzigen Einwurf zulassen. Genau wie man auch kritischen Bemerkungen offen und mit einem gebührenden Maß an Toleranz begegnen sollte.

 

Ich kann mich noch gut an Besprechungen und Veranstaltungen eines meiner Vorgesetzten erinnern. Bei wichtigen Themen wurde zur Einstimmung ein Video gezeigt, welches sich auf das zu besprechende Thema bezog. Ich habe diese Vorgehensweise übernommen und streue in Besprechungen immer wieder kurze Videos oder Bilder die inhaltlich zum Thema passen ein. So habe ich bei teambildenden Maßnahmen ein tolles Werbevideo gefunden, das Ameisen zeigt, die sich gemeinsam gegen einen Ameisenbär zur Wehr setzen.

 

Es ergeben sich hier gleich mehrere Effekte. Zum einen bietet ein solcher Jingle eine gute Abgrenzung zum vorherigen Thema und gleichzeitig eine Möglichkeit der Einstimmung auf einen neuen Inhalt. Die Teilnehmer sind gelöst, lächeln oder lachen sogar und befreien damit Körper und Geist von bestehenden Anspannungen. Daneben bietet ein Witz, ein Video oder auch ein kurzer Refrain eines Liedes die Möglichkeit ein Thema mit anderen Augen zu sehen. Oder mit einer neuen Denkweise an Probleme heranzugehen.

 

Erinnert sich vielleicht jemand an die grandiose Szene im Film „Der Club der toten Dichter“ von Peter Weir, indem Robin Williams als Lehrer John Keating seine Schüler auffordert nacheinander auf das Lehrerpult zusteigen um die Perspektive zu verändern? Das war nicht nur im Jahr 1959, in dem der Film spielt, eine ungewöhnliche Unterrichtspraktik. Auch heute noch stoßen solche Methoden, speziell im konservativen Umfeld mancher Schule oder manches Unternehmens auf Kopfschütteln oder Unverständnis. Aber warum eigentlich? Wie befreiend und anregend kann doch ein Perspektivwechsel sein?!

 

Ist es nicht genau wie der Einwurf eines Hofnarren, der dazu anregt Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Und wenn es der Blickwinkel der Lächerlichkeit ist, mit dem Hofnarren gern ihre Späße verpacken. Dabei geht es nicht um Lächerlichkeit. Es geht wirklich um die Sichtweise.  Genau wie bei der Betrachtung einer Litfaßsäule, für die ich immer mindestens drei Blickwinkel brauche um die gesamte Oberfläche zu betrachten, so brauch ich auch für meine Gedanken und meine Meinung immer mehr als einen Blickwinkel. Wenn es Probleme zu lösen  sollte ich um das Problem herumgehen. Es verschiedentlich betrachten. Dazu gibt es sicherlich verschiedenste Kreativitätstechniken, mit denen ich derartige 360° Sichten erzeugen kann.  Aber die lassen sich in der täglichen Praxis nicht immer schnell genug einsetzen. Oft muss man schnell reagieren und sofort Entscheidungen treffen.

 

Dafür ist der Hofnarr da. Immer wenn es knifflig wird, denke ich daran, was ich als Hofnarr gesagt oder getan hätte. Das ist eine gute Übung. Probieren sie es aus. Stellen sie sich mitten in einem Meeting vor, sie selbst wären der Hofnarr. Sie dürften alles sagen. Sie könnten jede Art von These aufstellen. Jede noch so bittere Wahrheit preisgeben. Keiner würde ihnen ihre Äußerungen oder ihre Späße übelnehmen. Was würden sie sagen?

 

Doch Vorsicht! Nicht alles was sie denken, müssen sie auch sagen. Aber mit einer derartigen Übung verändern sie ihren Blick. Verändern sie ihre Denkweise. DAS ist es, was zählt. Und dann wägen sie ab. Was davon kann wirklich gesagt werden.


Wie vorab bereits geschrieben. Nicht jede Organisation ist bereit für einen Hofnarren. Aber je mehr man auch unangenehme Themen ansprechen kann, desto größer ist der Reifegrad eines Unternehmens. Oder einer Abteilung.  Oder einer Gruppe von Menschen. Je mehr man bereit ist, jede Meinung gelten zu lassen, desto besser. Kein Beharren auf die vorherrschende Mainstream-Meinung. Gleichgültig ob sie gerade in ist, vom Chef kommt oder sonst wie opportun ist.  Das spielt keine Rolle. Es ist wie beim Brainstorming mit den berühmten Metaplankarten. Jede Idee, jede Karte zählt.

 

Und so muss es eben auch im menschlichen Unternehmen sein.

 

Das setzt natürlich auch voraus, dass man ebenfalls bereit ist anders denkende Meinungen zuzulassen und sich damit zu beschäftigen. Auch wenn man inbrünstig der Meinung ist, die alleinige Wahrheit zu kennen. Man muss zuhören. Auch über andere Thesen nachdenken. Wenn, aber erst wenn man es wirklich gemacht hat, dann kann man zurückkommen und darf wieder glauben, dass man recht hat. Das ist nicht einfach. Das setzt ein hohes Maß an Selbstvertrauen voraus. Auch mal zurückzustecken.

 


Unternehmen, in denen nur EINE Meinung gilt, eben die des Chefs werden eventuell Erfolg haben, wenn, ja wenn der Chef tatsächlich gut ist. Sie werden aber nie, niemals exzellent werden. Denn dazu braucht es mehr als einen Führung und 100 oder 1000 Soldaten die blind folgen. Dazu ist mehr als eine Meinung notwendig.  Bis auf wenige charismatische und in der Regel religiös bedingte Führer, bringen despotische und diktatorische Führungskräfte es nicht fertig, ihren Mitarbeitern die Leidenschaft hervorzurufen, die für nachhaltigen Erfolg notwendig ist. Sie überzeugen schlimmstenfalls mit Angst. Was ohne Frage ein guter Motivator ist Aber eben nur solang die Angst immer wieder gehalten oder gesteigert wird. Dieses mag kurzfristig gehen, auf keinen Fall lang und nachhaltig.  Wie viel besser sind da Führungskräfte und Mitarbeiter, die ihren Vorgesetzten aus Überzeugung folgen, die Entscheidungen mit beeinflussen können,  die an einen Sieg, eine Strategie oder einen Plan glauben.

 

Sich von anderen überzeugen zu lassen, ist keine Niederlage. Es ist keine Schwäche und auch kein Zeugnis mangelnder Kompetenz. Es ist immer ein Zeichen von Größe, sich anderen Meinungen anzuschließen, wenn die Argumente nur gut genug sind. Sich diesen Thesen annehmen, dann mit den eigenen Blickwinkeln verbessern, dass ist gelebte Teamarbeit. Denken sie an die Litfaßsäule. Vielleicht sieht ein Kollege die wichtigeren Informationen, die auf ihrer Seite nicht vorhanden sind.


Es muss nicht jeder spinnerten Idee nachgelaufen werden. Das ist nicht die These. Am Ende leben wir in einer Demokratie und…


…einer ist zwangsläufig der Demokrator!