Ich arbeitete als Leiter Qualitätswesen an einem Projekt zur Re-Organisation des Beschaffungsprozesses. Ein für das Unternehmen zentraler Prozess mit enormen Auswirkungen auf die Qualität und die Liefertreue der eigenen Projekte.
Nach eingehender Analyse der Inhalte fielen mir mehrere Dinge auf:
• Es gab einen erheblichen Unterschied zwischen den vorgegebenen Abläufen und den tatsächlichen Prozessen
• Es gab keine ausreichende Beschreibung der Anforderungen an beschaffte Produkte
• Lieferanten wurden weder systematisch ausgewählt, noch bewertet
Nach einem intensiven Gespräch zwischen dem Einkaufleiter und mir machte sich eine erste Frustration breit. Es gab keinerlei Bereitschaft über die vorgeschlagenen Punkte nachzudenken, geschweige denn sie zu verändern. Viel mehr musste ich mich, wieder einmal mit folgenden Aussagen auseinandersetzen.“ Ich brauche doch keine Anweisungen, denn bei mir weis jeder weis er zu tun hat. Und wenn nicht, dann erkläre ich ihm das schon!“ und auch „Was soll ich denn mit einer Lieferantenbewertung? Wir kennen unsere Pappenheimer genau und reden mit denen auch.“. Und natürlich kam auch der Klassiker unter den Killerphrasen wider einer systematischen Betriebsführung: „Wenn ich das so machen soll, dann brauche ich für den administrativen Aufwand noch fünf Leute mehr.“
Der Beschaffungsprozess
oder
…die Einsicht in eigene Vorteile!
Ich vermute von solchen oder ähnliche Vorfälle hat schon jeder gehört, der sich intensiv mit Veränderungsprozessen oder Re-Organisationen beschäftigt hat. Es handelt sich dabei um ein Grundübel in vielen Unternehmen.
Natürlich hatte sich aus einer solchen Situation leicht ein lang andauernder Kleinkrieg entwickeln können. Ich hätte auch auf die Unterstützung durch die Geschäftsführung setzen können, der ich meinen Bericht hätte vorlegen können und dann über die vorhandene Positionspower die von mir vorgeschlagenen Verbesserungen durchdrücken können. Aber das war nicht mein Ziel.
Es mag natürlich auch Fälle geben, bei denen man so handeln muss. Aber das sollten die absoluten Ausnahmen sein. Im menschlichen Unternehmen geht es nicht darum auf Positionen zu verharren, nicht darum eigene Ideen mit Macht durchzudrücken. Es geht darum Verständnis zu wecken. Gemeinsamkeiten zu entwickeln und sich gegenseitig zu unterstützen.
Statt sich auf lange Diskussionen einzulassen, schlug ich dem Einkaufleiter spontan einen Wettkampf vor. Sein Bauchgefühl gegen meine Analysen und Auswertungen. Ich bat darum, sein Team hereinzuholen, und direkt mehrere einfache Fragen zu beantworten:
• Welches sind die fünf schlechtesten Lieferanten?
• Welches die fünf Besten?
• Welche fünf Lieferanten liefern immer pünktlich?
• Welche fünf immer zu spät oder zu früh?
• Welche liefern zu viel oder zu wenig?
• Über welche Lieferanten hat sich die Produktion im letzten Jahr beschwert?
• Mit welchen Lieferanten hatten wir Qualitätsprobleme mit unseren Kunden?
Das Ergebnis dieser einfachen Fragen können sie sich vermutlich direkt selbst beantworten. Während die globale Einschätzung hinsichtlich der besten und schlechtesten Lieferanten noch relativ nahe an den tatsächlichen Gegebenheiten lagen, waren die Detailfragen nach dem warum sind die Lieferanten denn schlecht oder gut schon viel schwieriger abzuschätzen. Also haben die Lieferanten zu viel, zu wenig geliefert oder kommen die Lieferungen pünktlich im Unternehmen an. Bei den Problemen in der Produktion oder auch beim Kunden konnte man sich lediglich an eine Reklamation erinnern, da diese vor einigen Monaten richtige Kreise gezogen hatte, einschließlich eines Prozessaudits durch den Kunden bei uns.
Nach Analyse und Präsentation dieser Ergebnisse kam es zwar zu einigen Aha-Erlebnissen, aber ich merkte trotz allem noch erhebliche Skepsis.
Inzwischen ist genau dieser Einkaufsleiter einer der glühendsten Verfechter einer systematischen Lieferantenauswahl, der zugehörigen Qualifizierung dieser Lieferanten und auch der Entwicklung von Lieferanten. Das dazu auch eine permanente Lieferantenbewertung gehört, brauche ich wohl nicht mehr eigens zu erwähnen. Ganz offen wird heute herausgestellt, dass sich die Liefertreue um mehr als 70 Prozent und die Qualitätslage um über 50 Prozent verbessert hat. Auch die Kostensituation hat sich nach seiner eigenen Einschätzung erheblich verändert, seit er die jährlichen Preisgespräche mit den Lieferanten mit der Präsentation der Logistik- und Qualitätskennzahlen beginnt.