Als junger Ingenieur hatte ich einige Bewerbungen geschrieben und war auch zu verschiedenen Vorstellungsgesprächen geladen. Eines davon ist mir in besonderer Erinnerung geblieben.
Ein Unternehmen mit großer Tradition, seit vielen Jahren erfolgreich im Markt positioniert lud mich zu einem Interview. Nach etwa zwanzig Minuten Gespräch mit einem Personalreferenten brachte man mich zum Werkleiter, mit dem ich, im Falle der Zusage, zukünftig eng zusammen arbeiten würde.
Der Werkleiter hatte allerdings gerade ein erhebliches Problem zu lösen. Wie ich aus diversen Telefonaten erfuhr, musste sein Dienstwagen getankt werden! Die Gespräche, die er während meines Vorstellungsgespräches führte, wurden im Laufe der Zeit immer hitziger. Denn scheinbar wollte niemand im Unternehmen sein Auto auftanken.
Immerhin nahm er sich zwischendurch die Zeit um in meinen Unterlagen zu blättern. Er hatte sogar noch Zeit mir die ein oder andere Frage zu meiner bisherigen Laufbahn zu stellen. Allerdings blieb mir wenig Zeit für die Antworten. Denn während ich noch weitere Informationen zu meinem Lebenslauf geben konnte, hatte er bereits wieder den Telefonhörer in der Hand und wählte eine neue Nummer.
Das Vorstellungsgespräch
oder
…was soll ich bloß mit einem neuen Mitarbeiter.
Ich habe solches Verhalten leider öfter erleben müssen. Vielleicht nicht in dieser drastischen Ausprägung. Was mir aber mehrfach passiert ist, ist das meine Ansprechpartner sich im Vorfeld nicht mit meinen Unterlagen auseinander gesetzt hatten. Da passierte es schon mal, dass der Personalleiter meinem zukünftigen Vorgesetzten verschämt meine Bewerbungsmappe über den Tisch schob, damit er sich von mir ein Bild machen konnte. „Ach, bei der XY-AG waren sie auch schon?“ Stellte man sich ein ums andere Mal bloß. Zeigte recht deutlich, wie wenig man sich mit dem Menschen, der einem da gegenüber saß, bisher beschäftigt hatte.
Ich habe noch ein anderes Beispiel: Mittwochmorgen, Taunus, Besprechungsraum eines traditionsreichen Familienunternehmens. Ich warte seit einer knappen Stunde auf meinen Termin mit der Personalleiterin. Die freundliche junge Frau, die mich mit frischem Kaffee versorgt, bat um Verständnis, dass sich der Termin um etwa eine halbe Stunde verschieben würde. Die Personalleitung wurde abberufen. Aber auch die angekündigte halbe Stunde ist jetzt seit fast 30 Minuten verstrichen.
Ich überlege, ob das Unternehmen zu mir passt. Es mag wichtige Gründe geben, die die Verschiebung von Terminen rechtfertigen. Das Unternehmen brennt nieder, die Welt geht unter oder der Betriebsrat droht mit mehrwöchigen Streiks. Alles andere halte ich für fragwürdig. Sicher mag es noch Gründe geben, die eine solche Verschiebung rechtfertigen mag.
Natürlich bewerbe ich mich um eine neue Position. Aber hier bewirbt sich auch ein Unternehmen um meine Mitarbeit. Und signalisiert: Du bist mir nicht wichtig. Was wäre gewesen, wenn ich eine Stunde zu spät zu meinem Termin gekommen wäre?
Mir stellt sich die Frage: Wird es auch später so sein, dass Termine nicht eingehalten werden? Besprechungen abgesagt werden? Die Wertschätzung der Gesprächspartner so gering ist? Ich möchte nochmals betonen, dass Vorbereitung und Pünktlichkeit mit Respekt und Achtung zu tun haben. Man setzt, gerade auch bei Terminen und Termindruck Prioritäten. Und damit gleichzeitig das Signal von Achtung und Wertschätzung. Ich nehme Dich ernst, deshalb nehme ich an Deinen Besprechungen teil, beantworte Deine eMails und komme vorbereitet in Deine Meetings.
Ich neige zu der Aussage, dass solches Verhalten, bereits im Vorstellungsgespräch, von mangelndem Interesse zeugt. Welches Interesse hat man an einem neuen Mitarbeiter? Interessiert man sich für jemanden, mit dem man langfristig zusammen arbeiten und Erfolg haben will? Ich möchte hier noch erwähnen, dass es nicht um die Bewerbung eines einfachen Maschinenbedieners ging, sondern um eine Fach- bzw. Führungsfunktion.
Wie stellen denn viele Vorgesetzte ihr Team zusammen? Aus meinen bisherigen Erfahrungen leider nicht nach dem Auswahl-Prinzip den besten Mitarbeiter für den besten Job zu rekrutieren.
Es geht oft einfach darum offene (Plan-)Stellen zu besetzen. Da muss man sich nicht lange mit den Qualifikationen oder gar den heute immer beschworenen Soft-Skills auseinander setzen. Die Qualifikation gleicht der Personalreferent schon für mich ab. Und wenn der fachlich in Ordnung ist, dann wird das schon irgendwie gehen. Im laufenden Betrieb schleift sich der Kollege dann schon ein.
Auch für das Vorstellungsgespräch gilt: In fünf Minuten können sie nicht hinreichend beurteilen ob der Kandidat zu ihnen und ihrem Unternehmen passt. Allenfalls können sie in dieser Zeit beurteilen, dass er nicht passt. Das merkt man oft schon nach einer Minute. Alles andere aber dauert länger.
Im Zweifel vereinbaren sie ein zweites oder drittes Gespräch. Sinnvoller Weise auch mit einem oder zwei Kollegen, mit denen der neue Mitarbeiter später zusammen arbeiten muss. Bedenken sie dabei, dass ihre Mitarbeiter viel länger und intensiver mit dem neuen Kollegen zusammen arbeiten müssen als sie als Vorgesetzter. Sie schaffen die Rahmenbedingungen. Das ist ihre Pflicht und Aufgabe als Vorgesetzter. Deshalb nehmen sie sich Zeit. Viel Zeit, wenn es sein muss. Mit der richtigen Personalentscheidung werden sie genau diese Zeit vielfach zurückbekommen.
Ich habe in meiner bisherigen beruflichen Laufbahn schon an vielen Bewerbungsgesprächen teilgenommen. Auf beiden Seiten des Tisches. Und ein ganz wichtiger Punkt ist Ehrlichkeit. Und das auf beiden Seiten. Denn im Vorstellungsgespräch geht es um den Abgleich zwischen den Anforderungen an die Position und den Qualifikationen den Kandidaten. Aber auch um die Erwartungen des Bewerbers und die Leistungsbereitschaft des Unternehmens und der Abteilung.
Kommt es hier zu späteren Enttäuschungen nur weil eine Seite nicht ehrlich sein wollte, unabhängig darum ob diese auf Unternehmensseite oder auf der Seite des Mitarbeiters stattfinden, dann ist der Frust vorprogrammiert. Es bewirbt sich nicht nur der Bewerber um einen neuen Arbeitsplatz. Auch das Unternehmen bewirbt sich beim neuen Mitarbeiter.
Es nützt nichts, wenn der Bewerber nach einem Dienstwagen fragt und der Personalleiter antwortet, dass keine Führungskraft einen Dienstwagen fährt (Ist mir übrigens genau so passiert. Nur leider musste ich nach einigen Wochen feststellen, dass zwei Drittel der Kollegen auf meiner Ebene einen Firmenwagen nutzten). Und wenn der Bewerber im Gespräch seine Projektleitererfahrungen anpreist und sich später herausstellt, dass er weder mit eMail-Programmen, noch mit Planungssoftware, noch mit anderen einschlägigen Tools praktische Erfahrungen hat.
Das menschliche Unternehmen ist geprägt von Ehrlichkeit und Fairness. Das ist ein Grundprinzip. Was nützen denn Enttäuschungen und Frust? Gar nichts! Sie kosten Zeit, Geld, Nerven und bringen Unruhe in den Betrieb.
Wie soll sich denn der Mitarbeiter fühlen, den man in den Vertragsverhandlungen im Punkt Dienstwagen angelogen hat? Er wird Misstrauisch! Er fragt sich: Gibt es da noch mehr was vielleicht nicht stimmt? Und er wird anfangen sich entsprechend zu verhalten. Bei den nächsten Gesprächen wird er einen Teil seiner Konzentration auf mögliche Fallstricke oder weitere Unwahrheiten richten. Kein guter Start ins neue Unternehmen. Gleiches gilt für den Vorgesetzten, der leidlich erfahren muss, dass der eingestellte Bewerber doch nicht über die notwendigen Qualifikationen verfügt. Da denken die meisten Vorgesetzten sie hätten die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entlässt man den Mitarbeiter in der Probezeit so wird nicht nur die eigene Personalauswahlkompetenz in Frage gestellt, nein, man hat auch keinen Mitarbeiter, der die anfallenden Aufgaben erledigt. Immerhin hat man diesen Mitarbeiter ja eingestellt, weil man ihn braucht. Und die neue Personalbeschaffung wird wiederum Monate dauern. Behält man diesen Kollegen aber, weil er ja doch auch einiges wegarbeitet, dann ergeben sich zum einen erhebliche und nicht geplante Zusatzbelastungen mit Schulungen und Einweisungen bis hin zur Leistungsreduzierung der gesamten Gruppe. Zum anderen bleibt auch hier das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört.
Ich plädiere dazu ein offenes Gespräch zu führen und sich dann umgehend zu entscheiden. Vielleicht hat der neue Kollege ja noch eine Chance verdient. Denn auch das prägt das menschliche Unternehmen: Man kann Fehler machen. Aber man muss zwingend daraus lernen.
Sie glauben sie haben nicht die Zeit, sich so intensiv wie beschrieben mit ihrem neuen Mitarbeiter zu beschäftigen? Ich glaube das nicht. Immerhin haben sie vermutlich die Zeit sich später um Probleme zu kümmern, Fehler auszubügeln, Minderleistungen hinterher zu laufen, Mitarbeiter anzutreiben, erteilte Aufgaben zu kontrollieren, und, und, und. Wenn sie keine Zeit haben den Zaun zu flicken, weil sie Hühner fangen müssen, dann, ja dann, machen sie etwas falsch!
Der Kampf um die schönsten oder größten Knochen vom erlegten Mammut oder der beste Platz in der Schlafhöhle ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Heute ersetzt das Auto aber den Mammutknochen, das Eigenheim oder die Ferienwohnung den schönsten Platz am Lagerfeuer. Aber die Signale sind die gleichen. Symboliken der Macht. Und kann ich mit einem guten Mitarbeiter meine Macht zeigen? Vermutlich nicht.